ÜBER "IV:REVOLUTION" #6
Und noch ein Gastblog zu unserem neuen Album. Heute von unserem hochtalentierten Langzeit-Homie Daniel Monninger aus Marburg, der schon vor einigen Jahren ganz wunderbare und genreunüblich-lyrische Rezis zu meinen Soloalben "Himmelherz" und "Reisefieber" bei Sound7.de veröffentlicht hat und sich seitdem - zurecht und mit Freude zitiert - in sämtlichen Promo- und Pressetextmäppchen von uns tummelt. :-)
Foto: Paintpictures Bilderwelten
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Daniel
Monninger, dessen
Alter hier nichts zur Sache tut, vertreibt sich an der Uni Marburg
als Zeithistoriker die Zeit und verdingt sich nebenbei als Texter,
Lektor und Schreibcoach (www.diphthong-textproduktion.de)
Die
Trinität der Revolution
Ein
bisschen wundern muss man sich ja schon. Da schreibt ein Mann
mittleren Alters – nennen wir ihn der Einfachheit halber Jens –
Lieder über das Leben und über die Liebe und über alles, was ihm
sonst noch so vor die Gitarre läuft (andererseits, naja, was wäre
da nicht schon von Leben und Liebe abgedeckt?).
Er schreibt also und schreibt und heraus kommt dabei zunächst recht
rumpeliges Zeug, das einer Hamburger Undergroundkapelle – nennen
wir sie der Einfachheit halber „Böttcher“ – ganz gut zu
Gesicht steht und dem man die revolutionäre „Wir gegen die“-Pose
durchaus abnehmen würde.
Nach einem kleinen Zwischenfall in einer
Hotelbadewanne ist „Böttcher“ Geschichte und
unser
Barde heißt zwar immer noch so und schreibt auch immer noch so,
singt aber plötzlich von göttlicher Erlösung. Das ist für den
gemeinen Revoluzzer dann doch gar starker Tobak, zumal sich die
frommen Zeilen zunächst in countryesken Gospel kleiden („Rosenbrock
& Böttcher“) und dann, inzwischen solo, in immer
runder werdendes Gitarrengeklimper. Da ist doch einer weich geworden!
Und, auch wenn sich über das erlöste Lächeln schon immer ein paar
Sorgenfalten gelegt hatten: Das sanfte Wegwischen von Tränen mit
dieser ewigen Alles-wird-gut-Attitüde konnte doch unmöglich das
Ende der produktiven Fahnenstange gewesen sein.
Und
dann das! Unser Protagonist schreibt noch immer fleißig vor sich
hin, doch der Mann mittleren Alters mutiert plötzlich zum
Revolutionär. Naja, zunächst mal nur zum selbsternannten. Worin
besteht also diese Revolution, die das vierte Solo-Album in Gestalt
eines hintersinnigen Wortspiels proklamiert? Sie ist, das wäre dann
auch zu viel des Guten, kein Ruf zu den Waffen, kein Aufruf auf die
Barrikaden. Denn sie ist mehr, viel mehr des Guten. Sie ist ein
Aufruf gegen die Barrikaden, ein flammendes Plädoyer gegen eine
Ghettoisierung des Herzens, das sich, eingepfercht in ein Gehege aus
Selbstsucht und Moralität, doch schon immer nach Freiheit gesehnt
hat.
Innerhalb
des Böttcherschen Kosmos ist das keine Revolution, vielmehr die
konsequente Fortführung einer Lebensreise, die aus dem Suchenden
erst einen Christen gemacht hat und dann einen suchenden Christen.
Das hat eine fast pantheistische Weite zur Folge, die manch
passioniertem Barrikadenbastler sicherlich sauer aufstoßen wird,
wenngleich aus dem weißen Feuer zwischen den Zeilen
von „IV: Revolution“ an allen Ecken und Enden Jesus quillt. Wie
anders wäre es auch möglich, „nur noch nach oben abzustürzen“,
wie eines der Lieder nahelegt?
Überhaupt
ist das Revolutionäre an dieser Revolution nicht ihr Eifer für eine
gerechte Sache, sondern ihr Eifer für eine gerechte Person, nicht
der Umsturz der äußeren Verhältnisse, sondern der Umsturz der
inneren, vielleicht nicht einmal aktives Umstürzen per se, sondern
aktives Verändern lassen. Kurz: Das Revolutionäre besteht in einer
Umdeutung des Revolutionsbegriffs, die jedoch nicht beliebig ist,
sondern konsequent. Schärfer war der Ausdruck nie und auch selten
näher an seiner ursprünglichen Bestimmung. Drei
Übersetzungsvarianten legt ein handelsübliches Lexikon für die
lateinische revolutio nahe, der unser moderner
Revolutionsbegriff entwuchs. Sie bezeichnet zunächst die Umdrehung
von Körpern um ein Zentrum, meint alsdann eine Rückkehr. Und
schließlich: „Sie fanden aber den Stein weggewälzt von dem
Grab.“…
Wenn
nun ein Mann mittleren Alters namens Jens von einer Revolution
schreibt, die wie selbstverständlich diese Trinität in sich
vereint; wenn er diese Revolution vertont mit Arrangements, die in
ihrer dichten Vielschichtigkeit eine kleine Revolution darstellen,
mit einer Band, die auf der bisherigen Höhe ihres Schaffens ist –
ja, dann bleibt nur noch auszurufen: Die „Wir gegen die“-Revolution
ist abgesagt. Wir kämpfen jetzt für die Revolution des „Ich bin
du“.
Und
wundern uns ein bisschen.
-Daniel
Monninger-